auf ein wort . . .

 

 

besinnliches                                nachdenkliches


„Dein Reich komme!“

„Worauf warten wir eigentlich im Advent? Auf Christi erste Ankunft? Sie liegt hinter uns. Auf seine zweite Ankunft? Wir fürchten sie, wir wünschen sie nicht. Auf Weihnachten? Das Warten auf das Fest ist aus einem religiösen zu einem kommerziellen Vorgang geworden, der hernach durch einen anderen abgelöst wird. So scheint es, dass der Christ auf nichts wartet; dass die christliche Hoffnung ein leeres Wort ist und eben deshalb dem Gesetz des Vakuums folgt, sich von anderen Hoff-nungen her auffüllen zu lassen. Aber haben wir wirklich nichts zu erwarten? Es gibt Menschen, die noch vor Christus leben: denen der Gott noch nie begegnet ist, der unsere Leiden nicht heilt, indem er es beseitigt, sondern indem er es mitleidet; der das Unrecht der Welt dadurch überführt, dass er selbst unter die Opfer der Ungerechtig-keit tritt. Es gibt Menschen, die nach Christus leben - die ihn gesehen haben und weggegangen sind. Ist es nicht seliger "vor" als "nach" Christus zu leben? Darf seine erste Ankunft je einfach "hinter uns" liegen? Bleibt sie nicht in einem sehr tiefen Sinn immer "voraus"? Müssen wir nicht in Wahrheit ein Leben lang auf sie zugehen, und sollte der Advent uns nicht dazu helfen, auf diesem Wege zu bleiben? So könnte uns allmählich auch sichtbar werden, dass Warten auf die erste und auf die zweite Ankunft Jesu Christi im tiefsten ein und dasselbe ist. Beides bedeutet zuletzt nichts anderes als das Eintreten in die innere Dynamik der Bitte "Dein Reich komme". 
[Joseph Ratzinger 2005]